Ich hab dich lieb, Handy

 

Ich arbeite jede zweite Woche in der schönen Stadt Bremen. Das bedeutet, dass ich Sonntags in den Zug steige und in die Hansestadt fahre. 

Immer checke ich ob ich Geldbörse, Handy und alle Ladekabel dabei habe. Immer. 

Vergangenen Sonntag aber erst auf dem Bahnsteig kurz vor Einlaufen des Zuges. 

Kein Handy.

Eiskalter Schreck und erste Gedanken wie „das geht doch nicht, ich muss umbuchen und später fahren“, „eine Woche ohne Handy, das wird nicht funktionieren“. 

Dann aber „ach was, ging doch früher auch“ und „könnte ja mal ganz interessant sein“.

Um gleich vorweg zu spoilern: Beides stimmt.

In der Bahn habe ich überlegt, ob ich den jungen Mann vor mir, der pausenlos auf seinem Handy herumtippte, mal frage, ob ich kurz eine SMS schreiben darf. Idee verworfen, dann hätte der ja meine Nummer und auch die meines Mannes, keine Ahnung wie man so etwas löscht. Fast jeder hat ein Handy dabei, tippt, hört Musik, scrollt sich durch Textnachrichten oder die sozialen Netzwerke. 

Im ICE dann dank eines ausnahmsweise funktionierenden W-Lan wieder das Gefühl mit dem Rest der Welt verbunden zu sein. Gedacht „ich habe ja eine Festnetz“ und „man kann sich ja eMails schreiben“, „wie schlimm soll das schon werden, ist ja nur ein Handy“.

Immer wieder in der Bahn, beim Aussteigen, beim Ankommen in der Wohnung das Tasten in den Taschen auf der Suche nach einem nicht vorhandenen Telefon.

Am Abend auf meinem Balkon sehr traurig ohne Handy. So ein schöner Sonnenuntergang über der Weser und keine Möglichkeit, ein Foto zu machen und es auf Instagram zu teilen.

Am nächsten Morgen in der Redaktionskonferenz großes Gelächter, als ich sage: Ich bin in dieser Woche nur auf meinem Festnetz oder via Mail erreichbar. „Mach doch einen Beitrag draus“, „oh, unfreiwilliges digitales detoxen ist ja auch mal eine Erfahrung“. Und immerhin auch ein mitfühlendes „und wie geht es dir damit?“.

Auf Facebook habe ich Freunden mitgeteilt, dass ich in dieser Woche nicht unter meiner Mobilnummer erreichbar bin. Das ist für einige offenbar so unfassbar, dass sie mir eMals schicken und in der Betreffzeile steht: Falls du keinen Empfang haben solltest. Ich spare mir die Antwort, dass der Empfang nicht das Problem darstellt.

In den kommenden Tagen fehlt mir mein kleines Gerät bei vielen Gelegenheiten. 

Stricken im Kerzenlicht, Masche verloren, keine Taschenlampe.

Zweitwecker stellen, falls ich den ersten nicht höre, geht nicht.

Schnell mal nachsehen, wie morgen das Wetter wird, geht nicht unterwegs.

Ich muss pünktlich sein bei Verabredungen, eine schnelle Entschuldigungs-SMS kann ich ja auch nicht verschicken.

Dann passieren aber auch so viele schöne Dinge:

In der Tram muss ich aus dem Fenster schauen, weil ja kein Gerät da ist, auf dem man Neuigkeiten in den sozialen Netzwerken checken kann. 

Mir fallen Dinge auf, die ich noch nie zuvor bemerkt habe. Wußtet Ihr was ein Laden für Anlassmode ist? Daran bin ich vorbeigefahren. 

Ein Geschäft für Mode, die man bei besonderen Anlässen trägt. Anlassmode.

Ich muss Menschen nach dem Weg fragen, weil ich keine App benutzen kann. Spreche mit Leuten, sage Danke und bitte, wir tauschen ein Lächeln und Informationen.

Beim Mittagessen spricht mich eine Frau an, die mit dem Bus nach Bremen gekommen ist. Sie erzählt von einer fürchterlichen Stadtführung und von ihren Kindern. Wir plaudern und keiner von uns isst allein. Hätte ich auf mein Telefon geguckt, wie ich es sonst mache, wenn ich allein an einem Tisch sitze, dann hätte sie mich ganz sicher nicht angesprochen, sagt sie später.

Mein Telefon ist wieder Telefon, denn mein Festnetz ersetzt Nachrichtenapp und eMail. Ich rufe Menschen an, spreche mit Freunden, mit denen sonst eher gechattet wird. 

Wenn man sich an das Phantombrummen in der Hosentasche gewöhnt hat, dann ist es eigentlich mal ganz schön ohne Handy.

Ihr müsste es ja nicht eine Woche an einen anderen Ort bringen, aber das Gerät einfach mal in der Tasche zu lassen, sich wieder umsehen, wenn man unterwegs ist, mit Menschen sprechen, das ist einen Versuch wert. 

Kann ich aus Erfahrung sagen.

Aber ganz darauf verzichten wollen, würde ich auch nicht.