#nettsein Vom Anfang einer neuen Freundlichkeit

Nett sein

Kürzlich brachte ich ein Paket zur Postfiliale in meiner Kleinstadt in Brandenburg. „Ach, nach Hamburg geht das. Da war ich neulich, das hat mir so gut gefallen,“ schwärmte die Postfrau. „Die Leute da waren alle so nett.“ Sie hätte gar nicht viel von der Stadt gesehen, weil sie auf einem Seminar und vor allem in Räumen war, aber alle dort seien so freundlich gewesen. Das sei ihr aufgefallen. 

Wir sprachen dann darüber wie schade es sei, dass ausgerechnet Brandenburg und Berlin offenbar Landstriche seien, in denen Ruppigkeit und nach unten hängende Mundwinkel zum guten Ton gehören.

Wer einmal an einem Donnerstag (Einkaufstag im Osten, wie mich meine ehemalige Kollegin Traudl einst belehrte) in einem brandenburgischen Supermarkt unterwegs war, der weiß was ich meine. Ältere Frauen, die ihren Männern in einer Tour erklären, dass es die andere Margarine sein soll, dass noch reichlich Salami zu Hause ist und dass der Wagen doch nicht immer in den Weg der anderer Leute geschoben werden soll. Paare, bei denen man sich wünscht, dass in den Schütten mit Aktionsware zwischen Arbeitssocken und Duschgel-Dreierpack auch eine Scheidung-to-go liegen möge. Wehe, man bitte mit seinem Paket Toastbrot darum, an der Kasse vorgelassen zu werden.

Aber natürlich gibt es die unfreundlichen Menschen nicht exklusiv hier bei uns.

Ich erlebe das Überall in Deutschland.

In meiner Reinigung stapelte ich heute vom Verkaufstisch weg ein Paket auf den Boden, damit die Dame nicht um den Tresen herumlaufen musste. 

„Das müssen sie doch nicht.“ 

„Aber ist doch keine Mühe, ich stehe doch hier.“ 

„Man ist es hier nur nicht gewohnt, dass jemand nett und hilfsbereit ist.“

Danke sagen, ein einfacher Gruß mit einem Lächeln, ein Kompliment machen, ohne etwas dafür zu erwarten. Jemandem mit dem schweren Koffer helfen, Türen aufhalten, Anerkennung zeigen auch für Kleinigkeiten, die einem selbst den Tag schöner machen.

Warum ist das eigentlich für viele Menschen so schwierig und wann ist das aus der Mode gekommen?

Ich bin in Nordfriesland aufgewachsen. In meinem kleinen Ort grüßt man sich auf den Straßen mit einem freundlichen „Moin“, egal, ob man sich kennt oder nicht. 

In Bremen wird nicht jeder gemoint, aber man ist nicht so wortkarg und maulfaul wie in Brandenburg. Moin macht aus einem grauen mindestens einen hellgrauen Tag. Und wenn man bei Ihnen nicht „Moin“ sagt, dann tut es auch ein „Guten Tag“ oder „Hallo“. Die Atmosphäre wird freundlicher, der Umgang miteinander leichter. Denn wenn man jemanden freundliche begrüßt hat ist es doch sehr viel schwerer, danach noch ekelhaft in Ton und Benehmen zu werden.

Wer jemals in Amerika war hat es selbst erlebt. Kein Restaurantbesuch ohne ein „sweetheart, more coffee?“ und kein Einkaufsbummel ohne kostenloses Kompliment. Ganz egal wie ehrlich es gemeint ist, es fühlt sich besser an. Ich gehe lieber in ein Geschäft oder Restaurant, in dem man nett zu mir ist, als in eines, in dem ich den Eindruck habe, dass ich nicht erwünscht bin, weil ich störe.

Umgekehrt empfinde ich es als genau so unhöflich, wenn Menschen an Supermarktkassen telefonieren und die Kassiererin behandeln wie einen Automaten. 

Was tut eigentlich daran weh, wenn man jemandem sagt, dass man seinen Mantel mag, dass man die Tasche wunderschön findet, dass man von seinem Duft ganz beseelt ist? 

Ein einziger Satz, der für einen anderen Menschen den Tag ein bisschen schöner macht.

Ich will gar nicht so weit gehen zu sagen, dass dieser rechte Sumpf es schwerer hätte, wenn wir alle wieder netter zueinander wären, aber ich bin sicher, wenn wir mehr miteinander reden als übereinander, wenn wir mehr fragen als zu erzählen und mehr lächeln als mit einer beleidigten Fresse durch den Tag zu stolpern, dann wird unser aller Leben heller.

Diese wie Genöle und Herumkritteln an jeder Kleinigkeit, die jemand äußert. Das Kommentieren von Tweets mit einer Humorlosigkeit, wie sie kaum zu beschreiben ist. In jedem noch so interessanten Gedanken irgendetwas finden, was man kritisieren kann. Man müsse doch dies bedenken und jenes ich vergessen. An jedem noch so kleinen guten Gedanken wird so lange herumgemosert bis alle vergessen haben, dass es doch eigentlich um etwas Gutes, etwas Schönes ging.

Paradoxe Intervention nannte mein Freund Jörg das kürzlich in seiner Kolumne:

https://www.morgenpost.de/kolumne/article215277957/Einladung-zum-Eis-statt-Herumgeschreie.html

Ihr könnte jetzt von Gutmenschentum und Gelaber anfangen, aber ich mach das jetzt. 

Weniger darüber schreiben was schlecht ist, was mir den Tag versaut und mehr über die schönen Dinge. 

Oder, um es mit dem Lieblingszitat meiner Oma zu sagen: 

Was du nicht willst, was man dir tu, 

das füg auch keinem andren zu.

Ich hab dich lieb, Handy

 

Ich arbeite jede zweite Woche in der schönen Stadt Bremen. Das bedeutet, dass ich Sonntags in den Zug steige und in die Hansestadt fahre. 

Immer checke ich ob ich Geldbörse, Handy und alle Ladekabel dabei habe. Immer. 

Vergangenen Sonntag aber erst auf dem Bahnsteig kurz vor Einlaufen des Zuges. 

Kein Handy.

Eiskalter Schreck und erste Gedanken wie „das geht doch nicht, ich muss umbuchen und später fahren“, „eine Woche ohne Handy, das wird nicht funktionieren“. 

Dann aber „ach was, ging doch früher auch“ und „könnte ja mal ganz interessant sein“.

Um gleich vorweg zu spoilern: Beides stimmt.

In der Bahn habe ich überlegt, ob ich den jungen Mann vor mir, der pausenlos auf seinem Handy herumtippte, mal frage, ob ich kurz eine SMS schreiben darf. Idee verworfen, dann hätte der ja meine Nummer und auch die meines Mannes, keine Ahnung wie man so etwas löscht. Fast jeder hat ein Handy dabei, tippt, hört Musik, scrollt sich durch Textnachrichten oder die sozialen Netzwerke. 

Im ICE dann dank eines ausnahmsweise funktionierenden W-Lan wieder das Gefühl mit dem Rest der Welt verbunden zu sein. Gedacht „ich habe ja eine Festnetz“ und „man kann sich ja eMails schreiben“, „wie schlimm soll das schon werden, ist ja nur ein Handy“.

Immer wieder in der Bahn, beim Aussteigen, beim Ankommen in der Wohnung das Tasten in den Taschen auf der Suche nach einem nicht vorhandenen Telefon.

Am Abend auf meinem Balkon sehr traurig ohne Handy. So ein schöner Sonnenuntergang über der Weser und keine Möglichkeit, ein Foto zu machen und es auf Instagram zu teilen.

Am nächsten Morgen in der Redaktionskonferenz großes Gelächter, als ich sage: Ich bin in dieser Woche nur auf meinem Festnetz oder via Mail erreichbar. „Mach doch einen Beitrag draus“, „oh, unfreiwilliges digitales detoxen ist ja auch mal eine Erfahrung“. Und immerhin auch ein mitfühlendes „und wie geht es dir damit?“.

Auf Facebook habe ich Freunden mitgeteilt, dass ich in dieser Woche nicht unter meiner Mobilnummer erreichbar bin. Das ist für einige offenbar so unfassbar, dass sie mir eMals schicken und in der Betreffzeile steht: Falls du keinen Empfang haben solltest. Ich spare mir die Antwort, dass der Empfang nicht das Problem darstellt.

In den kommenden Tagen fehlt mir mein kleines Gerät bei vielen Gelegenheiten. 

Stricken im Kerzenlicht, Masche verloren, keine Taschenlampe.

Zweitwecker stellen, falls ich den ersten nicht höre, geht nicht.

Schnell mal nachsehen, wie morgen das Wetter wird, geht nicht unterwegs.

Ich muss pünktlich sein bei Verabredungen, eine schnelle Entschuldigungs-SMS kann ich ja auch nicht verschicken.

Dann passieren aber auch so viele schöne Dinge:

In der Tram muss ich aus dem Fenster schauen, weil ja kein Gerät da ist, auf dem man Neuigkeiten in den sozialen Netzwerken checken kann. 

Mir fallen Dinge auf, die ich noch nie zuvor bemerkt habe. Wußtet Ihr was ein Laden für Anlassmode ist? Daran bin ich vorbeigefahren. 

Ein Geschäft für Mode, die man bei besonderen Anlässen trägt. Anlassmode.

Ich muss Menschen nach dem Weg fragen, weil ich keine App benutzen kann. Spreche mit Leuten, sage Danke und bitte, wir tauschen ein Lächeln und Informationen.

Beim Mittagessen spricht mich eine Frau an, die mit dem Bus nach Bremen gekommen ist. Sie erzählt von einer fürchterlichen Stadtführung und von ihren Kindern. Wir plaudern und keiner von uns isst allein. Hätte ich auf mein Telefon geguckt, wie ich es sonst mache, wenn ich allein an einem Tisch sitze, dann hätte sie mich ganz sicher nicht angesprochen, sagt sie später.

Mein Telefon ist wieder Telefon, denn mein Festnetz ersetzt Nachrichtenapp und eMail. Ich rufe Menschen an, spreche mit Freunden, mit denen sonst eher gechattet wird. 

Wenn man sich an das Phantombrummen in der Hosentasche gewöhnt hat, dann ist es eigentlich mal ganz schön ohne Handy.

Ihr müsste es ja nicht eine Woche an einen anderen Ort bringen, aber das Gerät einfach mal in der Tasche zu lassen, sich wieder umsehen, wenn man unterwegs ist, mit Menschen sprechen, das ist einen Versuch wert. 

Kann ich aus Erfahrung sagen.

Aber ganz darauf verzichten wollen, würde ich auch nicht.